Der Rastplatz an den Ruinen von Qasr Ibrim auf einer Insel im Nassersee mitten in der Sahara-Wüste Ägyptens ist wunderschön gelegen. Schon im alten Ägypten entstand hier auf einem Höhenzug über dem Niltal eine Siedlung, die bis ins 19. Jahrhundert bewohnt war. Heute ragt der Höhenzug mit den Ruinen nur noch als Insel aus dem Wasser, das hinter dem Assuan-Damm aufgestaut wird. Die Idylle von Qasr Ibrim aber trügt: Als Jens Hering aus dem sächsischen Limbach-Oberfrohna ausgerechnet dort die Reste eines großen Scheiterhaufens mit den verkohlten Überresten etlicher eindrucksvoller großer Vögel wie Pelikane, Flamingos, Störche, Reiher, Kormorane und Entenvögel entdeckte, drehte sich ihm der Magen um.

Der Beirat der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft hat schon vier Ex­peditionen auf dem Nassersee geleitet, auf denen vor allem die Vogelwelt und das Brutverhalten der Tiere in diesem Naturparadies untersucht werden. „Da ist der Fund eines solchen Vogel-Massaker-Platzes schon ein heftiger Schock“, sagt Hering. Vor allem, da es sich um keinen Einzelfall handelt. Seit den Neunzigerjahren scheinen Jäger in jedem Winter in organisierten Touren am Nassersee massenweise Vögel zu schießen, die nach ägyptischem und internationalem Recht geschützt sind und daher nicht gejagt werden dürfen.

Vogeljäger bleiben weitgehend ungestört

Eine dieser Arten ist der Schmarotzermilan, auf dessen Nestern Jens Hering mehr als einmal einen Elternvogel in einer sehr ungewöhnlichen Weise liegen sah: „Diese Greifvögel sind auf ihren Nestern abgeknallt und dann einfach liegen gelassen worden“, sagt der Ornithologe. Dabei ist der Nassersee als „Important Bird Area“ wegen seiner großen Bedeutung als Brutgebiet und Rastplatz für sehr viele Vogelarten weit über die Grenzen Ägyptens hinaus bekannt.

Viele Touristen pilgern zu den jahrtausendealten Felsentempeln des Pharaos Ramses II. und seiner Gemahlin in Abu Simbel. Nur konzentrieren sich diese Reiseströme auf wenige Hotspots mit antiken Stätten entlang des fast 500 Kilometer langen Sees mit seinen vielen Inseln. Im großen Rest des Gewässers bleiben dagegen Vogeljäger und auch die Expeditionen weitgehend ungestört, die Jens Hering seit 2016 in seiner Urlaubs- und Freizeit regelmäßig mit einem Team dort durchführt.

Idyllische Flecken mit schönen Sanddünen

Dort sind sie mit den kleinen Schiffen des Unternehmens „Lake Nasser Adven­tures“ unterwegs. Der Schweizer Steven Mayor und sein nubischer Geschäftspartner bieten auf diesen Schiffen Ent­deckungs­kreuzfahrten an und außerdem Wanderungen zu den antiken Stätten am Ufer und in der Wüste, die hier gleich beginnt. „Unsere nubische Besatzung kennt den Nassersee so gut wie ihre eigene Westentasche und führt Reisende und Expeditionen daher an die interessantesten Stellen“, sagt Mayor. Dort wiederum beobachten Jens Hering und sein Team nicht nur die Vögel und ihr Brutverhalten, sondern unter­suchen auch die Spuren, die von den Jägern hinterlassen wurden.

„Allein auf unserer Expedition im Jahr 2017 haben wir drei Orte entdeckt, an denen die Jagdgruppen ihre Lager auf­geschlagen hatten“, sagt Jens Hering. Ausgesucht hatten sie sich dafür oft besonders idyllische Flecken mit schönen Sanddünen und kleinen Hainen aus Tamariskenbüschen. „In der Nähe dieser Lager fanden wir auch Stellen, an denen entweder völlig offen oder auch ein wenig versteckt die geschossenen Vögel verbrannt worden waren“, fasst der Ornithologe die Funde zusammen.

Junge Männer aus Malta

Diese Überreste konnte das Team recht gut identifizieren und fand so heraus, dass vor allem Rosaflamingos, Rosa- und Rötelpelikane, Weiß- und Schwarzstörche, Fischadler, viele Reiherarten und einige andere Vögel geschossen wurden. Damit bestätigte sich der Verdacht, dass am Nassersee vor allem große Vögel Opfer der ­illegalen Jagdleidenschaft werden. Obendrein lagen bei den Rastplätzen am Nassersee reichlich Patronenhülsen und auch noch die Verpackungen der Munition herum. Demnach wurde mit Patronen aus Zypern, Italien und Ägypten geschossen.

Auf geradezu kriminalistische Art wollte sich Jens Hering nicht nur auf die Indizien von Rastplätzen und Scheiterhaufen ver­lassen. Gespräche mit Einheimischen, einige von ihnen Helfer der Jagdtouren, ­lieferten dann weitere Erkenntnisse. Anscheinend handelt es sich um drei oder vier kleine Unternehmen, die solche Jagdtouren anbieten und durchführen.

Eine Bestätigung erhielt Jens Hering, als er sich in Ägypten als an solchen Touren interessierter Jäger ausgab und inkognito Angebote einholte. „Dabei erfuhr ich auch, dass die Jäger sogar ihre eigenen Waffen mit nach Ägypten bringen können.“ Oft handelt es sich bei den Interessenten um junge Männer, die aus Malta kommen. Das Land ist bekannt für seinen fragwürdigen Umgang mit der Jagd auf Vögel und durchziehende Zugvögel.

Beute zu Scheiterhaufen aufgeschichtet

Die Jagdgruppen fahren auf kleinen Schiffen, auf denen die einheimische Besatzung sie zu den gewünschten Vogelarten fährt. Auf diesen Mutterbooten reisen bis zu acht Jäger ein oder zwei Wochen über den See und werden von kleinen Bei- und Speedbooten zu den jeweiligen Schießplätzen gebracht, an denen sich die Flamingos und Pelikane sammeln. Zwanzig bis vierzig Vögel meist nur der großen Arten tötet ein Jäger am Tag. „Sehr beliebt sind zum Beispiel auch die seltenen Wüstenuhus, die aus den Felsen geschossen werden“, erklärt Hering. Am Abend wird die nicht mehr benötigte Beute zu Scheiterhaufen aufgeschichtet. „Dort stapeln sich die Kadaver der Vögel nach Aussagen der Einheimischen zum Teil meterhoch, bevor diese Scheiterhaufen angezündet werden.“ Das erinnere ihn an die Hexenfeuer des Mittelalters.

Die Jagdsaison dauert von Dezember bis März. Danach wird es den Jägern wohl schlicht zu heiß. Schon seit den Neunzigern geht das so. Nur in den beiden Corona-Wintern 2020/21 und 2021/22 blieben die Jagdgruppen aus. „Das dürfte sich im kommenden Winter leider wieder ändern“, befürchtet Hering. Anscheinend schießen die Männer aus purer Jagdlust auf die geschützten Vögel. Davon zeugen auch die auf ihren Nestern erschossenen Greifvögel, die nicht einmal mitgenommen werden.

Öko- statt Jagdtourismus

„Andere schießen anscheinend auch für die Tiefkühltruhe, in der sie ihre Beute für spätere Mahlzeiten einfrieren“, meint Jens Hering. Und dann gibt es noch die Trophäenjagd, für die ein Zufallsfund Indizien lieferte: Im Frühjahr 2017 wurden an der ägyptischen Mittelmeerküste viele Plastiktüten mit maltesischen Aufdrucken angeschwemmt, in denen sich geschossene Nimmersatte befanden. „Die sollten vermutlich als Trophäen präpariert werden.“

Gäbe es eine Alternative für diese illegalen Massenjagden? Was würde passieren, wenn ein Jagdverbot auch durchgesetzt wird? Steven Mayor schlägt Ökotourismus vor: „Wenn zwischen Oktober und April die Temperaturen bei angenehmen 25 bis 32 Grad liegen, bieten wir Touren für Vogelbeobachter an, die mit der nubischen Kultur, Wanderungen in der Wüste und den Relikten aus dem alten Ägypten tolle Reiseerlebnisse versprechen“, sagt der Schweizer. „Da würden wohl auch die kleinen Unternehmen einsteigen, die heute Jagdtouren anbieten“, vermutet Mayor, der die Anbieter sehr gut kennt und meist in Ägypten lebt. „Die wollen schließlich auch nur ihren Lebensunterhalt verdienen – und das geht mit Öko- statt Jagdtourismus sicher nachhaltiger.“